Dieses Jahr stehen erneut die regelmäßigen Betriebsratswahlen an – ein Thema, das in der Praxis auch auf Arbeitgeberseite viele Fragen aufwirft. Da die personelle Besetzung des Betriebsrats für die Zusammenarbeit zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber oftmals prägend ist, stellt sich aus Arbeitgebersicht zuweilen die Frage, inwieweit Arbeitgeber selbst auf das Wahlgeschehen und die Willensbildung der abstimmenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Einfluss nehmen dürfen, um bestimmte Listen oder Kandidierende zu unterstützen. Gleichzeitig droht bei unzulässiger Einflussnahme die Anfechtbarkeit der Wahl und im schlimmsten Fall sogar eine Strafbarkeit. Was zulässig ist und was nicht, erläutert dieser Beitrag.
§ 20 Abs. 2 BetrVG schützt indes vor Wahlbeeinflussung und lautet:
„Niemand darf die Wahl des Betriebsrats durch Zufügung oder Androhung von Nachteilen oder durch Gewährung oder Versprechen von Vorteilen beeinflussen.“
Damit wird die innere Willensbildung der wählenden Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen geschützt, damit sie ihre Entscheidung frei von illegitimen Einflüssen nach eigenem Ermessen treffen können. Zur Zufügung und Androhung von Vor- oder Nachteilen zählen vor allem finanzielle oder tatsächliche Zuwendungen, bspw. die finanzielle Unterstützung bei Wahlwerbung.
Vielfach wurde vor 2017 in Literatur und Rechtsprechung (so z.B. noch Hessisches Landesarbeitsgericht, Beschl. v. 12.11.2015 – 9 TaBV 44/15; wohl auch BGH, Beschl. v. 13.09.2010 – 1 StR 220/09) die Auffassung vertreten, dass der Arbeitgeber einem sog. „strikten Neutralitätsgebot“ unterliege.
Dem Arbeitgeber sei es – über die speziellen Verbote des § 20 BetrVG hinausgehend – verwehrt, in irgendeiner Weise auf die Wahlentscheidung Einfluss zu nehmen. Denn die Betriebsratswahl sei ausschließlich eine Angelegenheit der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber dürfe als Gegenspieler des Betriebsrats keinen Einfluss auf dessen Zusammensetzung nehmen.
Dieser Ansicht hat das BAG mit Beschluss vom 25.10.2017 (Az.: 7 ABR 10/16) eine Absage erteilt. Im zugrunde liegenden Sachverhalt hatte der Personalleiter eines Unternehmens scharfe Kritik an der amtierenden Betriebsratsvorsitzenden geübt, die sich auch bei der anstehenden Wahl als Kandidatin aufgestellt hatte. Demnach behindere sie die Zusammenarbeit von Betriebsrat und Arbeitgeber massiv und jeder Arbeitnehmer und jede Arbeitnehmerin, die die betreffende Kandidatin unterstütze, begehe „Verrat“ am Betrieb.
Das BAG sah darin keine Verletzung der Wahlschutzvorschriften. Entgegen der bis dahin vielfach vertretenen Meinung, der Arbeitgeber unterliege einem strikten Neutralitätsgebot, leitete das höchste Arbeitsgericht aus § 20 Abs. 2 BetrVG keine solche Maxime ab.
§ 20 Abs. 2 BetrVG untersage nicht jede Handlung oder Äußerung, die geeignet sein könnte, die Wahl zu beeinflussen. Die Beeinflussung müsse vielmehr durch Zufügung oder Androhung von Nachteilen oder durch Gewährung oder Versprechen von Vorteilen erfolgen.
Die innere Willensfreiheit sei neben § 20 BetrVG durch das Wahlgeheimnis aus § 14 Abs. 1 BetrVG hinreichend geschützt. Ihre Grenzen fänden die Unterstützungsmöglichkeiten des Arbeitgebers für Kandidaten oder Listen seiner Wahl in der Regelung aus § 20 Abs. 2 BetrVG und damit in der Frage nach in Aussicht gestellten Vor- und Nachteilen. Diese neue Linie wird in der Literatur bisweilen scharf kritisiert, ist für die Praxis jedoch bis auf Weiteres maßgeblich.
Zu unterscheiden ist in diesem Zusammenhang die Androhung von der Prognose möglicher Nachteile. Letztere ist, wenn sie fundiert ist, eine neutrale Aussage, die für die wählenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zudem von wichtigem Wert für ihre Entscheidung sein kann. So liegt keine Androhung von Nachteilen vor und damit kein Fall von § 20 Abs. 2 BetrVG, wenn der Arbeitgeber in Aussicht stellt, dass eine Zusammenarbeit mit der einen Gruppe schwieriger verlaufen könnte als mit einer anderen. Die Grenze ist anhand der Einflussmöglichkeit des Arbeitgebers zu ziehen: Kann dieser tatsächlich darauf einwirken, dass ein Nachteil oder Vorteil entsteht, oder gibt er dies zumindest vor, liegt eine unzulässige Androhung vor, die nach Abs. 2 verboten ist. Stellt er lediglich fest, dass aufgrund äußerer Umstände ein Vor- oder Nachteil mit dem Wahlsieg einer bestimmten Gruppe bzw. eines/einer Kandidat/in verbunden ist, handelt es sich um eine Prognose.
Dass das BAG selbst die Wortwahl des „Verrats“ noch als zulässig betrachtet, mag angesichts des darin mitschwingenden eindeutigen Werturteils verwundern, lässt im Ergebnis aber auf einen weiten Spielraum im Rahmen der Meinungsfreiheit des Arbeitgebers schließen. Sofern der Arbeitgeber also nicht die Grenzen der Meinungsfreiheit überschreitet – das bedeutet vor allem, dass er sich nicht Schmähkritik und unwahrer Tatsachen bedient –, bewegt er sich bei Prognosen auf sicherem Terrain.
So hat das BAG es dahinstehen lassen, ob aus dem Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit nach § 2 Abs. 1 BetrVG eine besondere Rücksichtnahme des Arbeitgebers im Zusammenhang mit Betriebsratswahlen resultiert, die seine durch Art. 5 Abs. 1 GG gewährleistete Meinungsfreiheit beschränkt. Denn dies hätte nicht zur Folge, dass jede Äußerung oder Handlung des Arbeitgebers im Zusammenhang mit Betriebsratswahlen als Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften anzusehen wäre, die zur Anfechtung der Wahl berechtigen könnte.
Folgende Maßnahmen können zulässig sein:
Folgende Maßnahmen sind unzulässig:
Im Ergebnis kann der Arbeitgeber nur begrenzt Einfluss auf die Betriebsratswahlen nehmen. Jeglicher tatsächliche Vorteil oder Nachteil, den der Arbeitgeber Kandidierenden oder einer Gruppe verschafft oder in Aussicht stellt, ist unzulässig.
Allerdings bietet die neue Rechtsprechung (BAG, Beschl. v. 25.10.2017 – 7 ABR 10/16) mit der Verwerfung des strikten Neutralitätsgebots die Möglichkeit, fundierte Kritik an der (bisherigen) Betriebsratsarbeit zu üben und Prognosen über die zukünftige Zusammenarbeit mit den in Rede stehenden Kandidaten und Kandidatinnen zu äußern. Gleichzeitig darf der Arbeitgeber Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen ermuntern, für eine (arbeitgeberfreundliche / neutrale) Liste zu kandidieren – ohne dafür Vorteile in Aussicht zu stellen.
Damit gilt als Faustregel: Sympathie bzw. Bedenken bekunden ist erlaubt, demnach zu handeln allerdings nicht. Ob sich in der Praxis die Sympathiebekundung tatsächlich positiv für den unterstützten Kandidaten bzw. die unterstützte Liste auswirkt oder unter den wahlberechtigten Arbeitnehmern eher das Gegenteil bewirkt, sollte im Vorfeld sorgsam abgewogen werden.
Es bleibt weiterhin spannend, wie die Arbeits- und Landesarbeitsgerichte diese neue Rechtsprechungslinie umsetzen, aber letztendlich ist eine arbeitgeberfreundliche Tendenz sichtbar. Angesichts der bei einem Verstoß gegen § 20 Abs. 2 BetrVG drohenden Anfechtbarkeit der Wahl und der Strafbewährung aus § 119 BetrVG ist jedoch stets Vorsicht geboten.