Gesellschaftsrecht 31. Januar 2023

Reichweite der Geschäftsführerentlastung

von Dr. Maximilian V. Otto Houf und Valeryia Murr

1. Einleitung

Der GmbH-Geschäftsführer ist für den Gesamterfolg des Unternehmens zuständig und gesamtverantwortlich. Neben der Pflicht, die Geschäfte der Gesellschaft so zu führen, dass der Gesellschaftszweck am besten erreicht wird, treten zahlreiche Organisations- und Überwachungspflichten, die Mitarbeiterführung- und Förderung, Finanzplanung und Controlling, Berichterstattung und Kommunikation sowie die Repräsentation des Unternehmens.

Aus großer Macht folgt große Verantwortung: Mit jeder Ausübung seiner Entscheidungsbefugnis setzt sich der Geschäftsführer Haftungsrisiken aus; ein Bedürfnis nach Haftungsbegrenzung entsteht. Die Haftungsrisiken treffen indes nicht nur (mittelbar) den Geschäftsführer, sondern in erster Linie die Gesellschaft, weshalb die Gesellschafter umgekehrt in der Regel ein Interesse an einer möglichst weitreichenden Haftung des Geschäftsführers haben.

Zu den wichtigsten Instrumenten der Haftungsbegrenzung gehört die GmbH-Geschäftsführerentlastung gem. § 46 Nr. 5 GmbHG, nicht zu verwechseln mit der Entlastung des Vorstandes und des Aufsichtsrates einer Aktiengesellschaft nach § 120 Abs. 2 AktG.

Angesichts der gegenläufigen Interessen des Geschäftsführers und der Gesellschafter bzw. der Gesellschaft stellt sich die Frage nach der Art und Reichweite ihrer Wirkung.

2. Begriff der Entlastung

Mit der Entlastung billigen die Gesellschafter die Amtsführung des Geschäftsführers für die Dauer der zurückliegenden Entlastungsperiode (regelmäßig vergangenes Geschäftsjahr). Die Entlastung wird im Rahmen eines Gesellschafterbeschlusses erteilt, wobei dies das uhreigene und nicht entziehbare Recht der Gesellschafter ist. Dabei wird der Gesellschafterversammlung bei der Beurteilung, ob die bisherige Geschäftsführertätigkeit zweckmäßig war, ein weiter Ermessensspielraum zugebilligt, der der gerichtlichen Überprüfung grundsätzlich entzogen ist, weshalb dem Geschäftsführer regelmäßig kein Anspruch auf die Erteilung einer Entlastung zusteht.

3. Wirkung der Entlastung

Folge eines wirksamen Entlastungsbeschlusses ist der Eintritt der Präklusionswirkung; insoweit besteht Einigkeit. Die Entlastung stellt den Geschäftsführer von allen Ersatzansprüchen und Kündigungsgründen der Gesellschaft frei, die in der Entlastungsperiode entstanden sind und die für die Gesellschafterversammlung erkennbar waren. Anders gesagt: Die Gesellschaft kann grundsätzlich diese (ihr bekannte) Ansprüche gegenüber dem Geschäftsführer nicht mehr geltend machen. 

4. Reichweite

Umstritten ist die Reichweite der jeweiligen Präklusionswirkung. Unterschieden wird in persönlicher, zeitlicher und inhaltlicher Reichweite:

4.1 Persönliche Reichweite

Die Präklusionswirkung erstreckt sich grundsätzlich nur auf den einzelnen im Entlastungsbeschluss behandelten Geschäftsführer. Sofern mehrere Geschäftsführer („die Geschäftsführung“) entlastet werden, wird im Rahmen des Entlastungsbeschlusses die Tätigkeit der Geschäftsführung insgesamt gebilligt. 

4.2 Zeitliche Reichweite

In zeitlicher Hinsicht umfasst die Präklusionswirkung nur Ansprüche, die im Rahmen der zurückliegenden Entlastungsperiode entstanden sind. 

4.3 Inhaltliche Reichweite

Inhaltlich bezieht sich die Entlastung auf alle Geschäftsvorgänge, die die Gesellschafter kennen oder die für sie erkennbar waren.

4.3.1 Kenntnis

Entgegen der Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1968 (BGH v. 04.11.1968 – II ZR 63/67, NJW 1969, 131) herrscht im Schrifttum der überzeugende Konsens, dass die Präklusion die Kenntnis aller Gesellschafter voraussetzt, da eine ordnungsgemäße Willensbildung über die Entlastungsentscheidung andernfalls nicht möglich sei (vgl. nur MHLS/Römermann, 3. Aufl. 2017, GmbHG § 46 Rn. 284, 285).

4.3.2 Erkennbarkeit

Erkennbar sind die Geschäftsvorgänge, die die Gesellschafter bei sorgfältiger Prüfung aller ihnen durch den Geschäftsführer selbst zur Verfügung gestellter Vorlagen und Berichte oder infolge privater Kenntnis hätten erkennen müssen. Die Entlastung bezieht sich mithin auf Umstände, die die Gesellschafter durch Nachrechnen oder Nachfragen in Erfahrung bringen konnten. 

Die Gesellschafter sind dann zur Nachfrage verpflichtet, wenn der Anlass zur Nachfrage sich aus den durch den Geschäftsführer zur Verfügung gestellten Unterlagen sich eindeutig ergibt (vgl. bereits OLG München v. 27.02.2013 – 7 U 4465/11, BeckRS 2013, 3726; OLG Brandenburg v. 29.06.2022 – 7 U 60/21, NZG 2022, 1351; BeckOK GmbHG/Schindler, 53. Ed. 1.9.2022, GmbHG, § 46 Rn. 68.). 

Die Entlastung tritt nicht ein, wenn und soweit der Geschäftsführer die maßgeblichen Informationen verschleiert und dies offensichtlich erkennbar ist (siehe nur MüKoGmbHG/Liebscher, 3. Aufl. 2019, GmbHG, § 46, Rn. 147 m.w.N.).

5. Schlussbemerkungen

Die Frage nach der Reichweite der Präklusionswirkung ist sowohl für die Gesellschafterversammlung als auch für Geschäftsführer hochrelevant und sollte nicht unterschätzt werden.

Die Gesellschafter haben zu wissen, welche Pflichten sie konkret erfüllen muss, um sich nicht dem Vorwurf der schuldhaften Unkenntnis auszusetzen und der Gefahr der Präklusion begegnen zu können. Insbesondere ist fraglich, inwieweit die Gesellschafter ihre Informationsrechte nach § 51a GmbHG ausüben müssen. Auch der Geschäftsführer hat ein Bedürfnis nach Rechtsklarheit. Um in den Genuss der Präklusionswirkung zu kommen, muss er den Gesellschaftern so Bericht erstatten, dass diese dadurch in die Lage versetzt werden, Kenntnis von den Geschäftsvorgängen zu nehmen, welche in den Entlastungszeitraum fallen. 

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